Die folgende Abbildung verbildlicht unsere Vorstellung einer Koproduktion von Wissen, bei dem Expert*innen und andere interessierte Gruppen zusammenarbeiten, um „neues Wissen zu produzieren“. Hierbei geht es uns darum, alle unterschiedlichen Gruppen der Bürgerwissenschaftler*innen (engl. „Citizen Scientists“) schon so früh wie möglich am wissenschaftlichen Erkenntnisprozess zu beteiligen. Bereits der aktuelle Projektstand ist das Resultat von einem wechselseitigen Interesse an der Kooperation von uns Studierenden sowie den verschiedenen Anwender*innen der Agroforstwirtschaft.
Mitwirkende in unserem bürgerwissenschaftlichen Forschungsprojekt
(Abk. DeFAF = Deutscher Fachverband für Agroforstwirtschaft)
Bürgerwissenschaften - Was bedeutet Partizipation für uns?
Bürgerwissenschaften sind die deutsche Übersetzung für das ebenso gebräuchliche englische Citizen Science. Der Begriff ist sehr weit gefasst, er beschreibt einen offenen und inklusiven Ansatz bei Projekten unterschiedlicher Disziplinen. Es geht um die bewusste Beteiligung von Ehrenamtlichen an wissenschaftlichen Tätigkeiten, unabhängig von ihren wissenschaftlichen oder professionellen Vorkenntnissen.
Die wissenschaftlichen Tätigkeiten reichen von der Sammlung und Analyse von Daten, über die Entwicklung von Fragestellungen, dem Design einer Studie, bis hin zu der Verbreitung der Ergebnisse.
Besonders aus den umweltwissenschaftlichen Disziplinen sind Bürgerwissenschaften nicht mehr wegzudenken und hat eine Tradition, welche weitaus älter ist als der Begriff selbst. Durch das Engagement vieler Menschen nähern wir uns einem besseren Verständnis für natürliche Prozesse und Umweltveränderungen an. In den letzten Jahren hat nicht nur allein die Anzahl an wissenschaftlichen Projekten mit zivilgesellschaftlicher Beteiligung zugenommen, sondern auch das Vertrauen über die Genauigkeit der erhobenen Daten von Bürgerwissenschaftler*innen.
Darüber hinaus ermöglicht die Einbindung der Öffentlichkeit in die Wissenschaft einen Weg, diese mit der Praxis zu verbinden. Die Wissenschaft steht dadurch in einem engeren Wissens- und Meinungsaustausch mit der Gesellschaft, welcher sie dienen sollte.
Für den Umweltschutz bringt der bürgerwissenschaftliche Ansatz viele Potentiale mit sich. Er ermöglicht es, große Datenmengen zu erfassen, welche für die Forschung ausschlaggebend sind. Methoden, die eine zeitgleiche Datenerhebung benötigen, zum Beispiel Zählungen und Sichtungskartierungen von sehr mobilen Tieren wie Vögeln, werden leichter durchführbar. Die oft sehr praxisnahen Ergebnisse der Bürgerwissenschaften tragen dazu bei, politische Entscheidungsfindungen voranzutreiben. Darüber hinaus findet eine Sensibilisierung der Beteiligten für die Natur statt. Dadurch nehmen viele Programme und Initiativen mit bürgerwissenschaftlichem Fokus auch eine wichtige Rolle in der Umweltbildung ein.
Ziel dieses Projektes ist die Erhebung praxis- und naturschutzfachlich relevanter Daten von gesellschaftlichem Interesse. Die Integration landwirtschaftlicher und zivilgesellschaftlicher Bedürfnisse und Interessen in die Forschungsperspektive der Ökologie kann aus unserer Sicht nur durch Bürgerwissenschaften gelingen.
Wie kann die Datenerhebung durch Bürger*innenwissenschaftler*innen in der Forschungspraxis konkret aussehen?
Eine mögliche Methode wäre z.B. die „Linien-Kartierung“ von Schmetterlingen. Dabei werden festgelegte Linien sowohl entlang der Baumstreifen als auch in der Feldmitte in dem Agroforstsystem abgelaufen, um die vorkommenden Schmetterlingsarten zu erfassen. Denn diese erfüllen verschiedene ökologische Funktionen in Agrar-Ökosystemen, wodurch ihr Vorkommen und ihre Diversität auch aus einer rein agronomischen Betrachtung relevant sind. Die Bürgerwissenschaftler*innen würden im ersten Schritt die Methode einmal zusammen mit den Studierenden beispielhaft anwenden, sowie einen anwendungsgerechten Bestimmungsschlüssel und Erfassungsbogen ausgehändigt bekommen.
Rapsweißling (Pieris napi)
Hauhechel-Bläuling (Polyommatus_icarus)
Bei einer gründlichen Einführung können Rückfragen oder Unstimmigkeiten geklärt werden. Danach würde eine eigenständige Erfassung während des Erfassungszeitraums (Mai bis August) durch die Bürgerwissenschaftler*innen erfolgen. Schmetterlingsarten, die nicht direkt erkannt werden, können fotografiert und durch spezialisierte Studierende nachträglich bestimmt werden. Am Ende sollen die Daten von unseren Studierenden gesammelt, ausgewertet und allen Beteiligten zugeschickt werden, um so den Kreis zwischen gesellschaftlicher Partizipation und wissenschaftlicher Forschung wieder zu schließen.
Welche Vorteile bietet der bürgerwissenschaftliche Ansatz für die wissenschaftliche Praxis?
1. Praxisnahes Versuchsdesign
Durch den intensiven Austausch mit Landwirt*innen sowie beteiligten Bürgerwissenschaftler*innen gewährleisten wir ein praxisnahes Ver-suchsdesign, da unser Forschungsobjekt die unmittelbare landwirt-schaftliche Realität ist. Außerdem können die Zeiten, in denen unsere Methoden auf den Flächen angewendet werden, den landwirtschaft-lichen Rhythmen (z.B. Mahdtermin) angepasst werden. Landwirt-schaftliche Praxis und wissenschaftliche Untersuchungen werden so miteinander in Einklang gebracht.
2. Räumliche Verknüpfung
Wir schaffen eine räumliche Verknüpfung, sowohl auf der System- als auch Landschaftsebene. Auf der Systemebene dadurch, dass wir die Messergebnisse der jeweiligen Methoden zunächst getrennt vonei-nander erheben und im darauf aufbauend (im Sinne der Land-schaftsökologie) miteinander in Bezug setzen, um ihre Wechselwir-kungen im System zu verstehen. Auf der Landschaftsebene dadurch, dass die Daten zeitgleich an vielen verschiedenen Orten in Deutschland in unterschiedlichen Agroforstsystemen erhoben werden können. Erst die überregionale Zusammenarbeit mit lokalen Bürger-wissenschaftler*innen ermöglicht es die benötigten, großskaligen Da-tensätze in Raum und Zeit aufzubauen, um Aussagen über räumliche Muster sowie unterschiedliche Gelingensbedingungen der Agroforst-systeme in Deutschland treffen zu können.
3. Langfristige Datenbank
Da Agroforstsysteme in Jahrzehnten gedacht werden, ist der Aufbau einer langfristigen Datenbank unabdingbar. Schrittweise entsteht eine Datenstruktur, die auch für nachfolgende Untersuchungen frei zu-gänglich sein soll. Zudem können vor allem ehrenamtliche Strukturen, wie die der Bürgerwissenschaften, mit ihrer ansteckenden Begeiste-rung eine kontinuierliche Datenerhebung über viele Jahrzehnte ge-währleisten.
4. Lokales Wissen
Durch die starke Einbindung von Bürgerwissenschaftler*innen an un-terschiedlichen Stellen im Projekt (z.B. Einordnung der Ergebnisse in den landschaftlichen Kontext) wird der Erkenntnisgewinn durch das zusätzliche, lokale Wissen aller Beteiligten gesteigert. Eine umfas-sende Forschung ist somit nur durch die Einbeziehung lokaler Sicht-weisen und Kenntnisse möglich. Die oft sehr praxisnahen Ergebnisse der Bürgerwissenschaften tragen dann dazu bei, Entscheidungsfin-dungen vor Ort aber auch in Verwaltungs- oder politischen Ebenen vo-ranzutreiben. Wenn das lokale Wissen genutzt und vermehrt wird, fin-det eine Sensibilisierung der Beteiligten für die Natur und ihre zahlrei-chen, wechselwirkenden Prozesse statt.
Ausführliche Potentiale und Vorteile der „Citizen Science“ lassen sich in der „Citizen Science Strategie 2020 für Deutschland“ finden.
Wissenstransfer
Eine gelungene Kommunikation auf Augenhöhe zwischen den Partizipierenden ermöglicht die vielfältige öffentlichkeitswirksame Weiterverbreitung der Forschungsinhalte. Zudem erlaubt die Heterogenität des Netzwerks weitere Adressaten mit unterschiedlichen Medien anzusprechen, um so die Reichweite zu erhöhen. Folgende Ideen wären z.B. möglich:
- Auf der Projekthomepage werden die Daten im Sinne der Open Science verständlich aufbereitet und frei zugänglich gemacht.
- Landwirt*innen sowie ihre Berater*innen sollen auf die Ergebnisse zugreifen und diese auf eine intuitive und authentische Weise mit ihren Praxiserfahrungen kombinieren können.
- Der lokale Naturschutz kann auf Internetseiten und Flyern über die Veränderung der Kulturlandschaft informieren.
- Schulklassen können Plakate erstellen, diese im Schulgebäude aufhängen und Mitschüler*innen von den Erfahrungen berichten.
- Landwirt*innen können in Hofläden oder auf Hoffesten Poster aufhängen, Flyer auslegen und Produkte aus Agroforstsystemen verkaufen.
- Studierende können Abschlussarbeiten erstellen und ihre Forschungsergebnisse über bekannte wissenschaftliche Formate wie Posterkolloquien, Fachtagungen und Artikel in Fachzeitschriften veröffentlichen.